Der Betroffene hat es selbst in der Hand

Wer viel mit den Händen arbeitet, kann am „Karpaltunnel-Syndrom“ leiden - Erfolgreicher Handchirurgen-Kongress in Biberach


Beim Kongress im Biberacher Parkhotel ging es auch um das Sprechen mit den Händen: Diese Gebärdenzeichen heißen (von rechts) „Hand (Dr. Thomas Gottorf)-Chirurgie (Laura M. Schwengber)- Kongress“ (Professor Wolfgang Freund) (Foto: Klose)

Biberach sz Die menschliche Hand ist ein Allzweckwerkzeug. Sie kann viel, ist aber auch empfindlich. Wer zu viel mit ihr arbeitet oder immer wieder anstrengende, gleiche Handbewegungen macht, kann irgendwann am sogenannten Karpaltunnel-Syndrom erkranken. Um diese Lähmungserscheinungen und operative Heilmethoden ging es unter anderem beim „Deutschen Handchirurgen-Kongress“ niedergelassener Ärzte in Biberach.

Der Oberschwabe schafft gern körperlich. Und er schafft gerne viel. Im Garten, in der Landwirtschaft oder im Hobby. Und der Oberschwabe ist hart im Nehmen, wegen schmerzender oder tauben Händen nach dem anstrengenden Schaffen geht er nicht zum Arzt. „Geht schon, das wird schon wieder“, sagt er sich und anderen. Doch wer länger anhaltende Lähmungserscheinungen in den Fingern hat, oder nachts aufwacht, weil ihm die Finger „eingeschlafen“ sind, der sollte schleunigst zum Arzt gehen. Denn hierbei könnte es sich um ein Kompressionssyndrom des „Nervus medianus“ im Bereich der Handwurzel handeln - kurz: Karpaltunnel-Syndrom.

Typisches Erstsymptom sind auftretende Schmerzen oder Missempfindungen, die von der Hand in den gesamten Arm einstrahlen können. Später treten die Beschwerden auch zunehmend tagsüber auf, im fortgeschrittenen Stadium kann es zu einem Muskelschwund im Bereich des Daumenballens, also zu einer Schwäche beim Greifen und zu einer Minderung des Tastgefühls kommen. Leichte Formen des Karpaltunnel-Syndroms können konservativ behandelt werden, in schwereren Fällen muss eine chirurgische Therapie gemacht werden. „Durch bestimmte Arbeiten werden die Sehnen in der Hand dicker und drücken auf den Nerv. Weil der Knochen, in dem der Nerv liegt, aber nicht nachgibt, wird der Nerv zusammengedrückt“, erklärt der Biberacher Handchirurg Dr. Thomas Gottorf, der als Präsident der Deutschen Interessensgemeinschaft ambulanter Handchirurgen den Kongress in Biberach organisiert hat.

Problem dabei: Die Betroffenen kommen häufig erst sehr spät zum Arzt. „Wenn man richtig mit den Händen schafft, dann denkt man, dass es normal sei, dass einem die Hände wehtun. Da denkt man nicht daran. Und der typische Oberschwabe ist da hart im Nehmen“, sagt Professor Wolfgang Freund, niedergelassener Biberacher Neurologe. Doch wer feststellt, dass er nachts die Hand aus dem Bett halten und ausschütteln muss, weil sie wie elektrisiert kribbelt, der sollte nachdenklich werden. „Der Nerv versorgt fast alle Finger. Wenn die Sehnen der Hand dick sind, dann drückt es im Inneren auf den Nerv“, so Freund weiter.

Wer diese Alarmsignale dauerhaft ignoriert, der läuft Gefahr, dass der Nerv dauerhaft geschädigt wird. „Dann wird das Gefühl in den Händen fortschreitend schlechter“, erklärt der Biberacher Handchirurg. Dabei kann eine ambulante endoskopische Operation - meist unter örtlicher Betäubung - laut Gottorf Abhilfe schaffen, wenn der Betroffene rechtzeitig zum Arzt geht. „Auch die Hausärzte wissen über das Thema bescheid“, sagt Gottorf. Durch einen nur einen Zentimeter langen Schnitt in der Beugefalte der Hand wird das Operationsmesser bei dieser sogenannten Knopflochchirurgie eingeführt, der Handchirurg legt den Nerv frei und verschafft ihm mehr Platz. Am Nerv selbst wird nichts getan. Durch das operative Wegnehmen des Drucks auf den Nerv kann dieser sich auch wieder regenerieren.

Das Karpaltunnel-Syndrom tritt immer häufiger auf, vor allem bei Menschen über 40 Jahren und bei Berufstätigen, die viel mit den Händen machen. Reinigungskräfte gehören beispielsweise zu den Risikogruppen. „Diese Problematik ist zu einer Volkskrankheit geworden und als solche auch seit zwei, drei Jahren als Berufskrankheit anerkannt worden“, so Gottorf weiter. Inzwischen sei das Karpaltunnel-Syndrom die sechst häufigste Berufskrankheit. Übrigens können auch Radfahrer, die oft die Handballen am Lenker haben, davon betroffen sein. Neurologe Freund, selbst begeisterter Radfahrer rät deshalb: „Ein gutes Polster an den Radhandschuhen ist wichtig, hier sollte man nicht an der Qualität sparen.“

Der Kongress für niedergelassene Handchirurgen in Biberach kam bei den Gästen aus ganz Deutschland laut Gottorf bestens an. „Letztes Jahr war dieser noch in Berlin in der Charité gewesen. Die Kollegen waren alle noch nie in Biberach, sie waren vom Tagen im ländlichen Raum mitten im Grünen und von der familiären Atmosphäre begeistert“, sagt der Biberacher Chirurg. Getagt wurde im Parkhotel des Jordanbads, während des Kongresses gab es unter anderem eine Führung im Biberacher Musuem durch die Ausstellung „Hände“ (die SZ berichtete), außerdem war auch das „Sprechen mit den Händen“ ein Thema gewesen. Aus Berlin war dazu extra die Gebärdensprachdolmetscherin Laura M. Schwengber aus Berlin nach Biberach gekommen. Die Berlinerin ist aktuell häufig in den Medien und in TV-Sendungen vertreten, weil sie Musik in Gebärdensprache übersetzt. Das ist bisher einmalig: Die 24-Jährige wird während des berühmten Jazzfestivals in Montreux die Musik für taubstumme Menschen „übersetzen“.

Quelle: Schwäbische Zeitung 2014